In Japans jüngster Millionenstadt Saitama, gelegen in der Metropolregion Tokios und nur 15 Minuten mit dem Shinkansen (Japans Hochgeschwindigkeitszug) von der Hauptstadt entfernt, steht das eingeschossige Wohnhaus in Sashiogi von Waro Kishi + K.Associates. Es ist eine neo-moderne Interpretation reduzierter Raumstruktur.
Auf einem kaum 300 Quadratmeter großen, rechteckigen Grundstück entstand in zweijähriger Planungs- und Umsetzungsphase eine neo-moderne Interpretation reduzierter Raumstruktur. Kern des Entwurfs ist eine multifunktionale, mehrschichtige Außenhaut, die das Haus für die zukünftigen Entwicklungen in der direkten Umgebung wappnen soll.
Interpretation folgt intuitiver Wahrnehmung
Derzeit ist das Umfeld des Hauses gesäumt von niedrigen Einfamilienhäusern und viel Grün. Aber für die absehbare Nachverdichtung wurde der Freiraum des Grundstücks als Teil der Gebäudehülle mitgedacht. Die Glas-Fassade im Inneren dient als thermische Hülle. Ihr folgt ein Außenraum, der als Buffer-Zone des privaten Wohnraums zur Öffentlichkeit fungiert. Eine umlaufende Vorzone im traditionell japanischen Stil lässt den inneren Bereich sich mühelos nach außen ausdehnen. Durch dieses Spiel mit der Raumdefinition werden auf smarte Weise begrenzende Strukturen als gegebene Größen in Frage gestellt. Interpretation folgt hier nicht der Konstruktion, sondern der intuitiven Wahrnehmung.
Elemente moderner Klassiker
Die äußerste Schicht manifestiert sich schließlich in Form eines metallenen Zaunes, der durch partielle Perforierungen die Umgebung dahinter durchschimmern und erkennen lässt, gleichzeitig aber die innenliegenden Bereiche von ihrer Umgebung abschirmt. Durch die vorherrschende horizontale Ausrichtung des Gebäudes erinnert das Haus in Sashiogi an moderne Klassiker; an die Horizontalität des Barcelona Pavillons oder die Stringenz des Farnsworth House. Während die verantwortlichen Architekten von Waro Kishi + K.Associates von einer Fotografie von Richard Neutras „Strathmore Apartment“ (erbaut 1937 in Los Angeles) inspiriert wurden und eine „Tokio Version des Case Study House des 21. Jahrhunderts“ schaffen wollten, ist man auch ohne diese Vorkenntnis geneigt, eine Modifikation der Moderne erkennen zu können. Einzig, was die Reinheit als oberste Raison der Moderne war, scheint hier nun das Gebaren der Materialien zu sein. Holz dominiert eindeutig nicht nur die konstruktiven Aspekte, sondern auch die augenscheinlich wahrnehmbaren. Das warme Material steht dazu in Kontrast zur äußeren Hülle, dem anthrazitfarbenen Zaun. Wo die Stützen am oberen Ende in den Träger ragen, scheinen sie wie von Zauberhand von der vertikalen in die horizontale Konstruktion zu verschwinden.
Verschmelzung von innen und außen
Hier zeigt sich die traditionelle perfektionistische Handwerkskunst in der Liebe zum Detail, dem in dieser reduzierten Gebäudestruktur eine maßgebliche Rolle zugesprochen wird. Die vorgefertigten Bauteile des Hauses ergänzen dabei die Holzkonstruktion und die Glasfassade, welche sich in ihrer Schlichtheit nobel zurückhält. Als zweidimensionale Komponente legt sie die Vorteile von großformatigen Glaselementen exemplarisch dar: der Raum wird nicht zusätzlich beschwert oder beengt. Durch diesen einfachen Umgang mit Glas, seiner Eigenschaft als Spiegel in der Dämmerung oder als Kälteschutz im Winter, kann nicht nur der Innen- zum Außenraum werden. Das Haus kann auch zum Garten werden – oder der Außenraum verschwindet gänzlich.
Der Blick aufs Wesentliche
Die privaten Schlafzimmer liegen bei der derartig offenen Grundrissgestaltung hinter einer Gangzone an der Fassade und können durch großformatige Schiebeelemente geöffnet und geschlossen werden. So entsteht sogar eine zusätzliche räumliche Distanz zur Nachbarschaft. Diese wird fast schon konterkariert durch die nur vordergründige totale Zurschaustellung, die Glas als Bauelement mit sich bringt. Das Herz des Gebäudes aber bildet der hierarchielose Wohnbereich mit offener Küche. Er ist an der straßenabgewandten Stirnseite des Hauses situiert und von allen Seiten von der reduzierten Glasfassade umfasst. Die Trennwände sind in schlichtem Weiß gehalten und optisch von der Holzbalkendecke leicht abgesetzt, die Infrastruktur wie Stromanschlüsse verschwinden im Boden, ebenso wie die Beleuchtung entlang der Säulenreihe. So bleibt nur noch der Blick auf das wirklich Wesentliche – und das ist alles, was den Raum bespielt und so mit Leben füllt.
Text: Ramona Kraxner
Fotos: Shigeo Ogawa
Ort: Saitama, Japan
Grundstücksfläche: 299,63 Quadratmeter
Gebäudefläche: 111,15 Quadratmeter
Geschossfläche gesamt: 103,15 Quadratmeter
Planungsphase: März 2019 – Juni 2020
Realisierung: Dezember 2020 – November 2021
Designer: WARO KISHI + K.ASSOCIATES/Architects
Generalunternehmer: Eishin Construction Col., Ltd.
Mehr zum glasstec 2022-Trendthema „Urbanisation“ finden Sie hier.
glasstec 2022 – erfahren Sie hier mehr zur Messe, Ihrer Anmeldung und dem Rahmenprogramm.