Der Qaammat Fjeld Pavilion von Konstantin Ikonomidis steht einsam und erhaben auf einem Felsen zwischen zwei Fjorden, inmitten der kargen Küstenlandschaft Grönlands. Es ist eine subtile Struktur aus Glas, welche die gewaltigen Landschaftseindrücke und das raue Klima von Wind, Sonne, Eis, Stein sowie Salzwasser einfängt als auch dem Besucher und Besucherinnen neu eröffnet. Ganz im Sinne des Auftraggebers, der Unesco.
Der Qaammat Fjeld Pavilion liegt mitten in der unberührten Natur Grönlands, nahe dem 100-Einwohner-Dorf Sarfannguit. Das Gebiet um Sarfannguit wurde 2018 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. 2019 wurde Konstantin Ikonomidis von der Unesco beauftragt, hier einen dauerhaften Pavillon zu realisieren. In Zusammenarbeit mit dem lokalen kulturhistorischen Sisimiut Museum und der örtlichen Gemeinde sollte ein Ort entstehen, welcher die enge Verbindung der hier beheimateten Inuit mit der Natur zelebriert. Aber auch ein Ort, der für externe Besucher und Besucherinnen eine lebendige Naturerfahrung kreiert.
Mit Glas bauen wie es mit Backsteinziegel seit jeher gemacht wird – wie gelingt das? Wie erhält man Langlebigkeit und Stabilität? Was sind die Herausforderungen? Und wie funktioniert diese Bauweise in Zukunft? Wir sprachen mit dem Architekten des Pavillon, Konstantin Ikonomidis. Aber auch mit den Forschenden Faidra Oikonomopoulou und Telesilla Bristogianni von der TU Delft und MVRDV-Architekt Gijs Rikken.
Ein Spiel mit den Elementen
Der schwedische Architekt Konstantin Ikonomidis hat eine begehbare Skulptur aus Glas entworfen: Zwei geschwungene Wände aus Glasbausteinen bilden einen geschützten Raum auf der Anhöhe eines Felsens. Gehalten werden die Wände von einem Geländer aus Stahl, welches tief im Fels verankert ist. Auf diese Weise schweben die Glaswände gewissermaßen über dem Felsboden und erhalten so Leichtigkeit und Schwung. Aus der Ferne betrachtet, erscheint der Pavillon wie eine amorphe Skulptur, die mit Transparenz, Licht und Maßstab spielt. Sie ist durchlässig für Wind und Sonne, reflektiert das Licht und die Landschaft. Wenn sich die Perspektive des Betrachters ändert, kann das kristalline Erscheinungsbild des Pavillons mit der Landschaft verschmelzen oder die Struktur in der Topografie geradezu verschwinden. Eintreten und hinausschauen kann der Besucher nur über zwei schmale Spalten. So bald er sich im Pavillon befindet, wird er vom blickdichten, schimmernden Glas umhüllt.
Qaammat Fjeld Pavilion – ein Experiment
Der Pavillon ist ein Gebäudetypus, der zum experimentieren einlädt. An den kleinen, leichten Bauwerken werden innovative Techniken, neue Materialien oder einfach ungewöhnliche Kombinationen bekannter Elemente der Architektur ausprobiert. Oft sind sie einer gewöhnlichen Zweckmäßigkeit enthoben — und als offener Unterstand oder begehbare Skulptur entworfen.
Architekt Konstantin Ikonomidis
„Das Material spiegelt die Vorstellung von Verletzlichkeit und das Gefühl von Kraft wider, das wir in diesem Teil der Welt in der Natur finden.“ – Konstantin Ikonomidis
Mit dem Qaammat Fjeld Pavilion kreiert Konstantin Ikonomidis ein lebendiges Naturerlebnis aus Glas. Er untersuchte den Werkstoff und seine Wirkung auf die Umgebung. In Zusammenarbeit mit Faidra Oikonomopoulou und Telesilla Bristogianni von der TU Delft entwickelte Konstantin Ikonomidis einen Glasbaustein, der sich einfach stapeln lässt. Die Idee war, den Pavillon nach der gleichen traditionellen Techniken, wie sie im örtlichen Siedlungsbau vorkommen, aufzubauen.
Hergestellt wurden der Stein schließlich von WonderGlass in Italien. Das dichte Material erlaubt selbst keine Durchblicke – stattdessen absorbiert es das Licht und erzeugt im Inneren des Pavillons ein Lichtspiel. Gestapelt zu einer Mauer, reflektieren die Bausteine das Licht und nehmen die Farben der Umgebung auf. Mal spiegelt sich in ihnen das schimmernde Wasser, ein anderes mal erscheinen sie starr und undurchsichtig wie Eisblöcke.
Für den Architekten ist der Fjeld-Pavillon eine poetische Geste, welche die Naturlandschaft und reiche Geschichte, den Charakter der grönländischen Kultur und die Geschichte der Inuit, die in Sarfannguit verwurzelt sind, thematisiert.
Zitate und Eindrücke
„Das Konzept entstand aus Gesprächen mit den Dorfbewohnern; durch diesen Austausch kam ich auf die Idee, mit Glas zu arbeiten. Das Material spiegelt Verletzlichkeit wider (durch die Verwendung von Glas) und gleichzeitig auch eine gewisse Stärke, die sich in der Natur dieser Gegend findet (die weiten Felslandschaften, die Naturgewalt). Ich glaube, dass selbst die kleinste architektonische Geste schon mit Poesie aufgeladen werden, eine Kultur reflektieren und zum Gemeinschaftsgefühl beitragen kann. Gleichzeitig aber auch aufzeigt, wie anderartige Bauweisen unter extremen Bedingungen Bestand haben können. Die Konstruktion hat nur einen geringen Fußabdruck und verwandelt die Landschaft auf subtile Weise durch Lichtreflexionen und ihre Transparenz, und dennoch sorgt sie für ein besonderes Erlebnis bei den Besuchern.“ – Architekt Konstantin Ikonomidis
„Glas ist ein Medium, das Licht auf ein unwirkliches Erlebnis wirft. Die Vorstellung, zu einem Projektteam an solch einem bedeutenden Ort zu gehören, der die Inuit und ihr Kulturerbe feiert, hat uns gleich von Anfang an fasziniert, als der Architekt Konstantin Ikonomidis auf uns zukam. Die Zusammenarbeit mit Ikonomidis und mit Faidra Oikonomopoulou und Telesilla Bristogianni von der TU Delft mündete in einer interessanten Weiterentwicklung des Materials Glas. In diesem besonderen Fall einer maßgeschneiderten Lösung für einen Kleber für diese strengen klimatischen Bedingungen. Wir suchen immer nach solchen Projekten mit einer Schnittstelle zwischen Experiment und kultureller Bedeutung.“ – Christian Mussati, Mitgründer von WonderGlass
„Um die Festigkeit der Verbindung und den Fehlermodus jeder Klebstoffvariante zu untersuchen, haben wir Schertests mit Verbundglas unter Laborbedingungen bei -50°C durchgeführt. Die Versuche zeigten, dass sich das ‘Experimental Fast Curing Adhesive’, von Dow speziell für dieses Projekt hergestellt, als vielversprechendstes Mittel für das Verkleben des Pavillons herausstellte. Genauer gesagt, hat Dow einen Zweikomponenten-Silikonkleber ohne Farbpigmente zur Verfügung gestellt, um eine weiße Masse zu erhalten, die zur Transparenz der Glasziegel passt. Zudem haben sie das Mischungsverhältnis der Komponenten so verändert, dass sich die Reaktionszeit des Klebers auf wenige Minuten reduziert und er seine volle Festigkeit in etwa 24 Stunden erreicht hat. So konnten die Ziegel ohne Klammern aufgeschichtet werden, so dass mindestens drei Reihen Ziegel pro Tag verarbeitet werden konnten, was den Baufortschritt erheblich beschleunigte.“ – Faidra Oikonomopoulou und Telesilla Bristogianni, Architektinnen und Ingenieurinnen der Glasforschungsgruppe an der TU Delft
Text: Paula Löwen-Pohle
Fotos: Julien Lanoo
Mehr zum glasstec 2022-Trendthema „Value“ finden Sie hier.
glasstec 2022 – erfahren Sie hier mehr zur Messe, Ihrer Anmeldung und dem Rahmenprogramm.